Vor seiner Thür' ein Bäu'rlein saß,
In einem kleinen Büchlein las –
Die liebe Einfalt war der Greis,
Sein Haar und Bart, war silberweiß,
Doch röthlich noch sein Wangenpaar,
Benetzt mit Thränlein hell und klar.
Schmelfungus auch des Wegs herkam,
Und wahr des armen Bäu’rleins nahm –
Der dicke Herr, gar hochgelehrt,
Das Bäu’rlein mit dem Gruß beehrt:
„Was machst du alter Narre da?
Du kennst ja nicht einmal das A.“
„Herr Doktor, in dem Büchlein steht
Nicht A noch Z, wie ihr da seht!
Leer sind die Blättlein allzumal,
Nur ihrer sechse an der Zahl.
Die Farben sind auch sechserlei –
Merkt, was mir die Bedeutung sey!“
„Das erste Blatt ist Himmel – blau,
Und sagt: Mensch, oft nach oben schau!
Das andere, wie Rosen roth,
Mahnt an des Heilands Blut und Tod;
Das dritte, „wie die Lilien weiß,
Spricht: Rein zu leben dich befleiß.“
„Das vierte Blatt, so schwarz wie Ruß,
Lehrt, daß ich auf die Bahre muß;
Des fünften feuerfarbner Schein
Erinnert an der Hölle Pein;
Das sechste Blatt, von Golde ganz,
Mahnt an des Himmels Pracht und Glanz.“
„Bedenk’ ich, was das Büchlein spricht,
Mein Aug’ sich netzt, das Herz mir bricht –
Was ich nur brauch’, mein Büchlein lehrt,
Drum halt ich’s tausendmahl mehr werth,
Als Eure Elephanten all,
In Eurem großen Bücherstall.“
Still gehet der gelehrte Mann;
„Hum, denket er, es ist was dran!
Wer wenig thut, weiß er gleich viel,
Der kommet nimmermehr zum Ziel;
Wer wenig weiß, es aber thut,
Ist noch so weise, froh und gut.“
Christoph von Schmid